Deine Helden von damals: Benjamin Siegert

"Zu meiner Zeit war mehr Leidenschaft und Präsenz im Fußball."

Benjamin Siegert im Trikot des SV Wehen Wiesbaden
Benjamin Siegert schoss sechs Tore in 63 Pflichtspielen für den SVWW. ©Imago images/Rene Schulz

Der SV Wehen Wiesbaden ist zurück in der 2. Bundesliga. Erstmals seit 2009 dürfen die Hessen im Unterhaus ran. Damals dabei war Benjamin Siegert, der unermüdlich die rechte Seite ablief. Für „Deine Helden von damals“ erzählt er, wie der SVWW im ersten Jahr nach dem Aufstieg souverän die Klasse hielt, was im zweiten Jahr nicht mehr passte und wer zu seiner Zeit die echten Typen in der Mannschaft waren.

Herr Siegert, der SV Wehen Wiesbaden ist nach zehn Jahren zurück in der 2. Bundesliga. Wem haben Sie als erstes gratuliert?
Benjamin Siegert: „Ehrlich gesagt noch niemandem. Es ist eine komplett neue Mannschaft. Ich habe sporadisch noch Kontakt zu Christian Hock, zum Torwarttrainer Steffen Vogler, den ich persönlich ein bisschen kenne und zum Betreuer Torsten Conradi. Deswegen gibt es nicht viele Möglichkeiten, jemandem zu gratulieren.“

Christian Hock war zu Ihrer Zeit Trainer, ist inzwischen Sportdirektor. Welche Rolle spielt er für den SVWW?
Siegert: „Er ist ein Vorzeige-Objekt für Wehen Wiesbaden, ist lange Jahre schon tätig, auch schon als Interimstrainer eingesprungen. Dann ist er auch als Mensch ein richtig guter Typ. Ihm hat man damals viel geglaubt, weil er immer einfach das sagt, was er denkt. Das kommt im Fußballgeschäft immer gut an.

Deswegen habe ich mich damals auch entschieden, zum SV Wehen Wiesbaden zu gehen. Er hat mich als Trainer überzeugt. Er ist als Sportdirektor richtig gut aufgehoben und prägt damit auch den Verein.“

Früher hätte man ein, zwei Leute gehabt, die ein bisschen mehr Bauch hatten. (über den Fitness-Wahn im Fußball.)

Spieler und Trainer haben seit Ihrer Zeit gewechselt, den heutigen Coach Rüdiger Rehm kennen Sie allerdings als Gegenspieler. Wie haben Sie ihn Erinnerung?
Siegert: „Immer agil, immer zielstrebig, sehr giftig, ein sehr präsenter Spieler. Er wollte immer aus dem Vollen schöpfen, aus seinem Körper alles rausholen. Als Trainer hat diese Philosophie mitgenommen, vermittelt den Spielern das, was er damals selbst gespielt hat. Ich finde, das Verhältnis vom damaligen Spieler zum heutigen Trainer passt sehr gut. Er kann sehr viel daraus ziehen, was er damals erlebt hat.“

Sie spielten von 2007 bis 2009 beim SV Wehen Wiesbaden in der 2. Bundesliga. Wie unterscheidet sich der Fußball in der Liga von dem heute?
Siegert: „Damals waren einfach Typen auf dem Platz. Mittlerweile ist es so, dass viel auf Fitness und Ernährung geachtet wird, um wie viel Uhr man was essen und trinken darf. Damals hat man den Fußball noch anders erlebt. Man hat auch versucht, das Beste aus seinem Körper herauszuholen, aber hat auch ein bisschen als Fußballer gelebt.

Mittlerweile ist alles sehr strukturiert an Hand von Daten und Fakten. Zu meiner Zeit war mehr Leidenschaft und Präsenz im Fußball, es ging noch um den Fußball selbst. Fitness scheint heute über dem Fußball zu stehen. Früher hätte man ein, zwei Leute gehabt, die ein bisschen mehr Bauch hatten, aber die den Fußball mehr gelebt haben.

Ich glaube, ich habe eine richtig gute Zeit erlebt, weil ich auch als Straßenfußballer gespielt habe und viele Typen an meiner Seite hatte, die genauso getickt haben. Ich denke, ich habe die beste Zeit für das Fußballerleben mitgemacht.“

Sandro Schwarz war ein Typ. (über positive Charaktere beim SVWW.)

Welche echten Typen hatten sie beim SV Wehen Wiesbaden an Ihrer Seite?
Siegert: „Sandro Schwarz, der jetzt Trainer vom Mainz 05 ist, war ein Typ, der nicht nur das Sportliche gesehen hat, aber für das Fußballerleben prädestiniert war. Er war nicht der beste Fußballer, hat jedoch aus seinen Möglichkeiten das Beste gemacht. Er hat auch immer gesagt, was er gedacht hat.

Marko Kopilas war ein Typ, Alexander Walke, der heute in Salzburg spielt, darf man nicht vergessen, der war auch eine echte Legende. Christian Hock auch definitiv als Trainer. Er hat alles erlebt vom Aufstieg bis zum Klassenerhalt.“

Benjamin Siegert feiert mit Adnan Masic, Ales Kokot und Marko Kopilas
Mit echten Typen wie Marko Kopilas (l.) hatte Benjamin Siegert (3. v. r.) beim SVWW viel Freude. ©Imago images/Martin Hoffmann

Neben den Typen, welcher Spielstil hielt Sie in der Saison 2007/08 so souverän in der Klasse?
Siegert: „Wir hatte schon die Vorgabe, immer nach vorne zu spielen, auf dem kurzen Wege zum Tor zu gelangen. Wir wollten aber bei jedem Spiel die Null halten. Das ist meines Erachtens die Philosophie jedes Teams in der zweiten Liga: hinten zu null, vorne macht man irgendwie einen. Wir hatte auch die Spielertypen, das umzusetzen: Vorne schnelle Leute, hinten eine gute Viererkette.“

Im Team hat es nicht gestimmt. (über Gründe für den Abstieg 2009.)

Sollte der SVWW seine offensive Spielweise nach dem Aufstieg treu bleiben oder Anpassungen vornehmen?
Siegert: „Ich glaube schon, dass man da ein bisschen gucken muss, was man für Spielertypen hat, weil in der 2. Liga ganz anders Fußball gespielt wird. Man ist immer gewillt, offensiv zu spielen, aber ich denke in der 2. Liga wird es nicht so agil nach vorne gehen.

Da musst du erstmal gucken, wie du dich findest, wie die ersten Spiele laufen. Man kann immer Parolen ausgeben, dass man attraktiven Fußball spielen will, aber wenn man die ersten drei Spiele verliert, wird man im Endeffekt nicht mehr vorrangig angreifen. Dann wird man die Spielphilosophie hinterfragen. Die 2. Liga ist mit der 3. Liga nicht zu vergleichen.“

Sie stiegen dann 2009 als Letzter ab. Was war passiert?
Siegert: „Man sagt ja immer, das zweite Jahr ist am schwierigsten. Da haben wir gedacht, wir sind im ersten Jahr ganz gut gestartet, sind oben dabei gewesen, dann ein bisschen ins Mittelfeld gerutscht, das war ganz ok. Dadurch gab es Ansprüche des Vereins, es gab auch Spieler, die zu uns gekommen sind, die nicht so reingepasst haben. Viele Faktoren haben dazu beigetragen, dass wir auf Deutsch gesagt sang- und klanglos abgestiegen sind.

Ein Faktor war auch der Trainerwechsel. Im Team hat es nicht gestimmt. Das spielt eine große Rolle, wenn du Spielertypen hast, die du nicht so greifen kannst. Wir haben die ersten Spiele in den Sand gesetzt, dann folgt eins aufs andere. Nicht nur Spieler, sondern auch Verein und Umfeld wurden problematisch. So ist das Schiff am Ende untergegangen.“

Am Anfang sehe ich den SV Wehen Wiesbaden psychologisch im Vorteil. (über das Pokalspiel gegen den 1. FC Köln.)

Dafür gelang aber im Abstiegsjahr ein guter Lauf im DFB-Pokal, wo es gegen den HSV nur eine knappe Niederlage im Viertelfinale gab. In Runde 1 kommt nun der 1. FC Köln. Was trauen Sie dem SV Wehen Wiesbaden zu?
Siegert: „Ich gehe davon aus, dass man da etwas machen kann. Der 1. FC Köln ist jetzt wieder in der 1. Bundesliga, kommt mit sehr viel Emotionen, will natürlich auch das Pokalspiel für sich entscheiden. Aber ich habe viele Pokalspiele mitmachen dürfen in meiner Karriere.

Ich weiß wie es ist, wenn der 1. FC Köln zum SV Wehen Wiesbaden kommt. Der Underdog hat am Anfang immer die Möglichkeit, das Spiel zu entscheiden, je länger es geht, desto besser sind die Chancen des 1. FC Köln. Am Anfang sehe ich den SV Wehen Wiesbaden aber psychologisch im Vorteil.“

Sie sprechen Ihre guten Erfahrungen mit dem FC an. Zum sensationellen 4:3 (nach 0:2 Rückstand) am 8. Spieltag 2007/08 steuerten Sie auch eine Vorlage bei. Wie haben sie den auch damals favorisierten FC geschlagen?
Siegert: „Das sind ganz besondere Spiele. Da kann man befreit aufspielen, man spielt einfach, wie man denkt. Das stellt den Favoriten oft vor Probleme. Es ist wie im Pokal, wo es oft schwierig ist für den Bundesligisten, weil die unterklassigen Spieler einfach andere Dinge machen, als es die Profis erwarten.

Der 1. FC Köln ist Gründungsmitglied der Bundesliga. Dementsprechend waren viele Zuschauer da. Solche Spiele kann man genießen. Es war schon ein Highlight so ein Spiel dann zu drehen und noch zu gewinnen.“

Ich kann mir nicht vorstellen, dass man da viel machen kann. (über den niedrigen Zuschauerschnitt.)

Abgesehen von den Highlight-Spielen ist der mäßige Zuschauerzuspruch ein großes Thema. Welche Chancen hat der SVWW, hier eine Steigerung herbeizuführen?
Siegert: „Es wird schwer. Wiesbaden liegt genau in der Mitte zwischen Mainz und Frankfurt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man da viel machen kann. Aus der Region kann man nicht viele Zuschauer anziehen, man hängt nur von der Stadt ab. 

Mainz ist ein echter Familienklub, Frankfurt ein Urgestein der Bundesliga. So kann ich mir nicht vorstellen, dass man den Zuschauerschnitt über 10.000 bekommt.“

Die Wurzeln des Vereins liegen eigentlich in der Gemeinde Taunusstein, erst 2007 kam „Wiesbaden“ in den Namen. Fehlt dem „Dorfverein“ in der Stadt die Akzeptanz?
Siegert: „Ja, aber man muss da wirtschaftlich denken. Wenn man im Taunus ein Stadion hochziehen würde, müsst man die Infrastruktur mitbedenken. Das ist dort für den Verein schwieriger. Mit Wiesbaden ist man sozusagen in die Stadt gegangen.

Am Anfang gab es viele Leute, die dagegen waren. Mittlerweile hat man aber verstanden, dass es der richtige Schritt war. Die Trainingsstätte in Taunusstein zu belassen war aber sinnvoll, so geht der Bezug zum Fußball dort nicht verloren.“

Zum Abschluss: Dieses Jahr hat es mit den Glückwünschen nicht geklappt. Welche Nachricht schreiben Sie Christian Hock im Mai 2020?
Siegert: „Es wird schwierig in den ersten beiden Jahren. Aber ich hoffe, dass ich ihm eine Sprachnotiz schicken kann: „Wir haben uns schon lange nicht gehört, aber herzlichen Glückwunsch, dass Ihr die Klasse gehalten habt. Viel Glück für die Saison 2020/21 in der 2. Bundesliga.“

Vielleicht telefonieren wir dann nochmal und sprechen darüber, was da in Wehen Wiesbaden alles zu Stande gekommen ist.“

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